12.05.19
Villarmentero de Campos- Calzadilla de la Cueza 27km
Kann nicht mehr schlafen. Thorsten schnarcht die ganze Nacht durch. Ich würde ihn ja auf die Seite drehen aber da liegt er schon. Ok dann halt um 4 Uhr raus aus dem Bett. Ihr denkt jetzt bestimmt, warum weckt er ihn nicht einfach? Und dann? Dann sind wir beide wach und nach 10 Minuten schläft er wieder ein und schnarcht weiter. Ich packe alle meine Sachen zusammen und verlasse leise das Zimmer und gehe in die Küche. Der Küchentisch ist schon gedeckt und mal wieder reichlich. Alles was das Herz begehrt. Die Kaffeemaschine ist schon gefüllt, ich muss sie nur noch einschalten.
Während alle anderen noch schlafen, setzte ich mich mit einer warmen Tasse Kaffee in der Küche auf den Sessel und warte auf den Sonnenaufgang. Auch wenn ich gerne noch etwas geschlafen hätte, ist es ok hier in der Stille zu sitzen und mit seinen Gedanken alleine zu sein.
Wenn ich so die letzten Tage Revue passieren lasse, habe ich doch schon einiges erlebt. Jede Menge Menschen getroffen, mir ihre Geschichten angehört.
Ich genieß jede Minute dieser außergewöhnlichen Reise und bin froh all diese Menschen kennengelernt zu haben. Keiner von uns hatte das erwartet. Wir wollten alle alleine diesen Weg bestreiten. War es Gottes Plan, dass wir uns hier zusammenfinden? Oder einfach nur Zufall? Gibt es sowas wie Zufälle? Oder ist unser ganzes Leben schon vorbestimmt?
Als ich so darüber am philosophieren bin, werden die Ersten im Schlafsaal wach. Eine Frau kommt in die Küche. Ihr Name ist Hina und sie ist 54. Hina hat vor 3 Jahren ihren Job bei einem großen französischen Telefonkonzern gekündigt. Sie sagt, sie hatte das Gefühl, als sei sie krank, aber nichts körperliches, sondern ihre Seele sei am sterben. Soul cancer wie sie es ausdrückte. Jetzt hat sie sich von all den materiellen Dingen befreit und lebt in den Tag. Sie hat eine Tochter in Singapur zu der sie hin und wieder reist. Seit 3 Monaten ist sie auf dem Jakobsweg unterwegs und hilft in Herbergen aus, dafür bekommt sie Kost und Logis.
Ich denke für mich so..... in der heutigen, schnelllebigen Zeit, brennen die viel schneller Menschen aus. Früher mussten Menschen hart arbeiten, waren aber meist zufriedener. Heute werden die meisten arbeiten von Maschinen erledigt, trotzdem werden wir mental auseinander genommen. Der Druck ist viel höher als früher. Denn die Unternehmer wollen verdienen und die Zeiten sind hart.
Nach dem alle gefrühstückt haben, gehts zurück auf den Camino. Heather startet direkt durch und an ihren Fersen Joe und Kieran. Joe‘s Knöchel ist seit Tagen angeschwollen aber er kann einfach nicht langsam gehen. Zudem hat er noch den schweren Rucksack von 13-14kg auf dem Rücken. Ich finde er sollte mal einen Gang runterschalten, aber schlussendlich muss er das entscheiden. Thorsten hat sich eine Blase gelaufen und braucht morgens etwas länger um in die Pötte zu kommen. Last but not least trabe ich hinter allen her. Irgendwann merkte ich, dass ich das Tempo angezogen habe und Thorsten einhole. In dem Moment, als mir das bewusst wird, fahre ich gleich die Geschwindigkeit wieder runter. Ich will hier keinen Rekord brechen. Immer wieder muss ich mich bremsen. Das ist ein langer Lernprozess aber ich bekomme das hin. Als Thorsten merkt, dass ich abbremse, fragt er mich was los ist. Ich erkläre ihm, dass ich nicht hetzen möchte und mein Tempo meine pace gehen möchte. Auch er macht langsam und wir nehmen uns Zeit für eine Unterhaltung. So erfahre ich z.B. dass er früh Kariere bei einem Einzelhandelsunternehmen gemacht hat.
Wechselte dann zu einen Lebensmittel Discounter und übernahm dort die Position des Geschäftsführers. Er ist viel in der Welt unterwegs gewesen und wie schon erwähnt, ist das sein 5. Camino. Warum geht man immer den gleichen? Werde ihn gleich morgen mal fragen( das nur mal so am Rande erwähnt).
Als ich ihn nach seinem Familienstand frage, ob er in einer Beziehung ist und Kinder hat, kommt eine Antwort, die ich mir nie im Leben vorgestellt hätte. Ich muss zu Thorsten noch was sagen, also er ist so der Typ „ Türsteher“ relativ groß, etwas breiter, Bart im Gesicht und tätowiert. Seine Antwort ..... Kinder wird schwierig den ich bin Schwul! Und ich bin Single. Wow, eigentlich habe ich ne Nase für Schwule, aber bei Thorsten hätte ich das nicht erwartet. Er wirkt total hetero. Bei den meisten sieht man das auf irgendeine Art und Weise. Am gehen, am reden oder an den Gestik, viele haben einen femininen Touch, er nicht. Ein echter Kerl eben, der auf Männer steht. Für alle da draußen, die das jetzt lesen, verkneift euch eure Kommentare. Ich weiß, dass ihr schweinische Gedanken habt. Muss gerade selber lachen.
Wir machen einen kurzen Stopp an einem Supermarkt und kaufen ein paar Sachen ein. Dort treffen wir auch auf Joe der zum Beten in der Kirche war. Als wir aus dem Supermarkt herauskommen, sehen wir wie ein großer Hund( keine Ahnung welche Rasse) einen Mann beim vorbeigehen in die Hand beißt. Der Hundebesitzer schlägt auf das Tier ein. Wow, was passiert hier gerade? Die zwei Männer diskutieren noch eine Weile, während wir weiter gehen. Viel zu krass. Hier laufen genug Hunde frei herum aber der an der Leine hat zugebissen.
Heute Morgen als wir aus dem Haus sind, war es arschkalt und jetzt brennt die Sonne. Die nächsten 18km gibt es nichts auf dem Weg, kein Wasser kein Schatten nur 18km eine gerade Schotterpiste. Hape Kerkeling beschreibt diesen Teil des Jakobsweges, als den schlimmsten Part von allen. Lieber würde er nochmal die Pyrenäen besteigen als diese 18km zu gehen. Ich empfinde es jetzt nicht ganz so schlimm aber bei 35 Grad wollte ich die Strecke auch nicht gehen.
Heute ist Muttertag. Liebe Grüße an alle Mütter da draußen, danke das es euch gibt. Ich rufe meine Mutter über FaceTime an um ihr persönlich zu gratulieren. Leider hat sie das ganze Gespräch über nur geweint. Ach Mama ich bin doch kein Baby mehr, guck mal hier sind junge Menschen unterwegs und die haben doch auch Mütter, die weinen aber nicht. Beispiel unsere Kiaren, er ist 22 seit bleibt ein Jahr in Spanien und die einzige Sorge die seine Mutter hat, dass er eine Spanierin kennenlernt und hier bleibt. Ich bin 42 und bleibe nur 7 Wochen und meine Mutter dreht durch. Mama es geht mir gut und ich komme wieder, versprochen.
Endlich in Calzadilla de la Cueza angekommen gleich in die erste Albergue einchecken. 5€ die Nacht ist wieder ein Schnapper. Die Herberge hat Platz für 80 Menschen und verfügt über einen Pool.
Mist keine Badehose dabei aber Joe hat eine zweite Badehose im Gepäck. Wer bitte braucht ein zweites paar Badehosen? Antwort: Joe. In dem Fall gut für mich. Umziehen und ab an den Pool. Ok aber ins Wasser werde ich nicht springen. Das Wasser ist ca. 3cm kalt, wenn ihr versteht. Dann doch lieber nur die Füße rein und abkühlen lassen. Joe‘s Knöchel sieht echt übel aus. Ich rate ihm einen Tag zu pausieren oder das Gepäck eine Etappe weiter senden zu lassen, denn das ist möglich und kostet nur 5€. Er überlegt es sich nochmal. Da die Albergue kein eigenes Restaurant hat, gehen wir für das Abendessen in ein nahegelegenes Restaurant. Dort bekommen wir wieder für kleines Geld ein super Pilger Menü mit 3 Gängen und reichlich Rotwein und Wasser. Ich liebe es, sowas sollte es in Deutschland geben aber natürlich ist das für 10€ nicht machbar. Ach ich freu mich schon auf die Nacht. Mal sehen wieviel Schlaf ich heute bekomme. Thorsten hat sein Bett ganz in der Nähe, heißt ich werde sein Schnarchen hören. Nachdem die meisten im Schlafsaal sich bettfertig gemacht haben und langsam die Ruhe einkehrt, hört man jemanden der gerade auf der Toilette sitzt. Ein sehr langer und lauter Furz ist ihm da entwichen und der ganze Schlafsaal grölt und bekommt sich vor lachen nicht mehr ein. Ich sag, dass wir vielleicht eine La Ola Welle machen wenn er rauskommt, alles lacht sich kaputt. Als er dann von der Toilette kommt, ist es nur ein kleiner Koriander. Will gar nicht wissen, was der gegessen hat. Oropax ganz tief in die Ohren und probieren zu schlafen. In diesem Sinne buenas noches amigos.
Make love, not war
Hippie Slogan