Tag 25

24.05.19

 

Leiman - Airexe 31km

 

Nach dem Aufstehen unterhalte ich mich mit meinem Bettnachbarn. Er ist 73 und ist seit Februar auf dem Jakobsweg unterwegs. Gestartet ist er in Brühl bei Köln. Wahnsinn in dem Alter noch sowas zu machen, aber es ist sein Herzenswunsch. Während ich mich gebannt mit dem Mann unterhalte, machen sich Kimmi und Kirsten auf den Weg. Sie fragen, ob sie warten sollen aber, das brauchen sie nicht. Ich brauche heute morgen länger als sonst, ist aber nicht weiter tragisch. Es ist eh besser für mich wenn ich erst das Zimmer im hellen verlasse. Gestern bin ich im Dunkeln aus dem Schlafsaal und natürlich ein T-shirt liegen lassen. Das war jetzt das Zweite was ich verloren habe. Meinen guten Reiseführer hab ich Villamayor del Rio in der Herberge liegen lassen. Gut wo gehobelt wird, fallen Späne. Muss ich durch. Ich komme auch gut ohne den Reiseführer klar. Ok die Zusatzinformationen waren ganz nett, da stand auch bestimmt mehr über das Kreuz Cruceiro in Sarria. Ist jetzt halt so, es wird keinen verlorenen Sachen hinterher getrauert. 

Etwas was ich in den letzten Wochen gelernt habe ist, Sachen in den Rucksack zu stopfen. Man muss nicht alles feinsäuberlich reinlegen, nein einfach stopfen. Abends brauchst du es ja doch wieder und es spart enorm an Zeit.

„Vollgepackt mit sieben Sachen die das Leben schöner machen, hinein ins Weekend feeling“ nee falscher Text, war das nicht in aus einer Werbung? Kein Wunder, dass ich mit dem Schreiben nicht hinterher komme, aber das sind halt meine Gedanken und dafür kann ich nichts. Wieder auf dem Jakobsweg. Kurz nach 8:30 Uhr der 100km Marker. Kacke denk ich mir, bald ist es vorbei. Vielleicht noch 3 Tage bis nach Santiago, 4-5 Tage bis Muxia und Finsterra. Dann bin ich in 30-32 Tagen fertig und ich hab mit ca.50 Tagen gerechnet. War ich zu schnell? Bin ich nicht meine eigene pace gegangen oder hab ich mich von den Anderen beeinflussen lassen? Ich glaube, nicht wirklich. Ich bin nicht der Typ der bis 12:00 20km geht und danach nur da sitzt und auf den nächten Tag wartet. In einer großen Stadt wie Pamplona,Burgos oder Leon hab ich das gemacht aber was willst du in so einem kleinen pups Kaff machen? Kühe melken und Ziegen füttern? Nee dann geh ich lieber weiter und schau mir wie jetzt gerade das Spektakel am Himmel an. Im Normalfall, wenn Regenwolken aufziehen, verschwindet man im Haus oder ins Auto oder irgendwo unter ein Vordach. Das werde ich nicht, nein ich zieh mir meinen Poncho über und laufe einfach weiter. Habt ihr euch mal die Zeit genommen und beobachtet wie sich die dicken Cumuluswolken unter die kleinen Schäfchenwolken ziehen? Wie sie sich ausbreitet und die kleinen Wölkchen komplett vereinnahmt? Ich habe das noch nie so bewusst betrachtet. Welch eine Schönheit, und das soll einfach so entstanden sein? Einfach nur weil es den Urknall gab? Die Wolken, der Himmel, Mensch und Tier? Einfach weil alles zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war? Ist da vielleicht doch nicht jemand, der das ganze lenkt? Ist das Universum und darin alle Lebewesen nicht vielleicht nur Figuren wie in einem „die Sims“ Spiel? Nur leider gibts es für uns keinen Reset Kopf oder ein extra Leben. Was passiert, passiert unumgänglich. Man kann aber auch aus all seinen Fehlern lernen und es versuchen besser zu machen. Beispiel der Holländern Chiel. Als kleiner Junge ein Problemkind mit ADHS. Schule war nichts für ihn, immer in Schlägereien verwickelt. Für die Eltern und seine Geschwister untragbar, sodass er mir 9 Jahren in ein Heim kommt. Er erzählt mir, dass es eine sehr sehr harte Zeit für ihn war und, dass er es nicht verstanden hat, warum er seine Eltern nicht jeden Tag sehen durfte. Verständlich er war gerade mal 9 und ein Kind in dem Alter braucht seine Eltern. Im Heim wurde es aber auch nicht wirklich besser. Rebellieren um jeden Preis. Ganze 6 Jahre verbringt er in diesem Heim, bis er dann zu seinem Vater ziehen darf. Die Eltern sind mittlerweile getrennt und seine Geschwister leben bei seiner Mutter. Er fängt ein paar Jobs an die er aber relativ schnell wieder an den Nagel hängt. Dann berichtet ihm ein Bekannter, wenn er denn durch seine Krankheit ADHS keinen Job finden würde, ihn der Staat finanziell unterstützt. Das ließ er sich natürlich nicht nehmen und kassierte jeden Monat 1000€ fürs Nixtun ein. Sein Tagesablauf bestand nunmehr 10 Jahre nur aus, schlafen, essen, fernsehen und zocken. Bis er eins Tages aufwachte und sich fragte, ob das seine Erwartungen an das Leben ist. Wie weit komme ich mit 1000€? Wie soll ich mit dem bisschen Geld vielleicht mal eine Familie ernähren? Also krempelt er sein Leben um sucht sich einen Job und verdient ehrliches Geld. Zwar ist er gerade Single aber besitzt eine Eigentumswohnung und die Richtige wird er auch noch finden, dessen bin ich mir sicher. 

Wir überqueren den Fluss Rio Miño und gelangen den Ort Portomarin. Dieses Dorf erreichte seine Berühmtheit dadurch, das 1956 der Bau der vierzig Kilometer entfernten Staumauer des Belesar-Stausees, dessen Wasser den Ort überfluten würden. Portomarin wurde deshalb auf dem rechten Ufer des Miño neu errichtet. Das alte Portomarín verschwand unter dem ansteigenden Wasser des Belesar-Stausees und wird nur bei sehr tiefen Pegelständen wieder sichtbar. Die Kirchen San Nicolás, San Pedro, ein Brückenbogen sowie der Palast des Grafen Maza und der Pimentales wurden Stein für Stein abgetragen und an einem neuen Ort wieder aufgebaut. 

Nach Portomarin geht es durch lauter kleine Dörfer in dem kein Mensch freiwillig wohnen möchte. Obwohl, ich glaube, die alten Menschen hier sind vielleicht glücklicher als wir „Stadtmenschen“ obwohl ich ja ein Dorfkind bin. Aber einem Dorf mit 2600 Menschen. Hier sind es vielleicht gerade mal 100 im Schnitt. Auf einem Schild kurz vor dem Dorf Ligonde wirbt eine katholische Albergue mit kostenlosen Umarmungen. Joe und Skye bleiben in dieser Herberge. Für Joe genau die richtige Herberge. Alles hier sehr sich um die Kirche und den Glauben. Am nächsten Tag erzählt Joe, dass es einen Filmabend über Jesus gab und eine Messe mit wunderbaren Gebeten. Sehr schön für ihn. Ich gehe noch 1,5km weiter im den Nachbarort und nehme eine öffentliche Herberge ohne „free Hugs“ zum Abendessen gehts in ein Restaurant um die Ecke. Heute gibt es mal kein Pilger Menü sondern Pizza. Sie ist reichlich belegt aber kommt nicht annähernd an die Pizza von Franco ran. In der Bar nebenan haben ein paar Spanier ein paar Schnäpse gekippt und schwanken zu ihrem Auto. Und tatsächlich startet er das Auto und fährt los. Ich hoffe inständig, dass sie niemandem Schaden zufügen. 

In unserer 18 Betten Herberge ist kaum was los und so solle es hoffentlich eine ruhige Nacht werden. Ich freue mich zuhause auf mein Bett und auf die Ruhe dort. In diesem Sinne, buenas noches amigos.

 

Wenn man seine Ruhe nicht in sich findet, ist es zwecklos, sie andernorts zu suchen.

François de La Rochefoucauld