25.05.19
Airexe - Boente 28km
Nach nur 2 gegangenen Kilometer bleiben Kimmi und ich in Portos stehen und frühstücken gemeinsam. Heute nehme ich mal tostada ( Baguette getoastet) mit Marmelade, dazu Café con leche. Kimmi ist immer am lachen, ich hab sie noch nie anders gesehen. Find ich gut, ist ansteckend. Sie ist voll positiver Energie. Hab ich euch schon erzählt, dass sie in einem schwarzen Viertel großgeworden ist? Die anderen Kinder konnten sie nicht leiden, weil sie dachten, sie sei reich. Dabei waren sie kein Stück reicher als die Anderen. Ihre Mutter war nur ein äußerst penibler Mensch und hat immer darauf geachtet wie es im und um das Haus herum ausgesehen hat. Während es bei den Meisten draußen ausgesehen hat wie Bombe war bei ihnen alles wie geleckt.
Sie hat hundert Mal ihre Schuhe oder Fahrrad gekaut bekommen und ist dann selbst gleich zu den Dieben hin und gefragt“ was das soll, begreift ihr denn nicht, dass wir aus dem selben Viertel kommen. Meine Eltern haben genauso wenig Geld, mir die Sachen neu zu kaufen“ war bestimmt keine einfache Zeit aber es hat sie geprägt. Ich mag Kimmi sehr, ich wünsche mir, dass ich mir einiges von ihr abgeguckt habe. Ihre Gelassenheit und darüber, dass sie sich nicht eine Sekunde Gedanken darum macht, was andere von ihr denken. Ich habe es schon mehr als einmal miterlebt, wie sie lauthals singt und über den Camino tanzt. Dabei scheint sie nichts außer Glück zu empfinden. Ich würde wohl vor charm im Erdboden versinken. Ich weiß gar nicht, ob ihr das Wort „charm“ überhaupt ein begriffe ist und das meine ich nicht böse. Ich mag ihre Art und wie sie Dinge so sorglos angeht. Jetzt fragt sich der Ein oder Andere, was macht sie den auf dem Jakobsweg wenn alles, Friede, Freude, Eierkuchen ist. Eines Ihrer Gründe ist das Buch von Shirley MacLaine. Die Schauspielerin ging auch schon den Jakobsweg und schrieb 2001 ein Buch darüber. Meines Erachtens etwas zu viel Esoterik aber gut, wer weiß welche Drogen sie unterwegs genommen hat.
Ich habe mir das Hörbuch gekauft und muss sagen, wenn mir das alles auf dem Camino passiert wäre, würde ich mich zurück in Deutschland einweisen lassen.
Gut, ich bin ja kein Buchkritiker und an Atlantis glaube ich auch nicht, trotzdem wurde das Buch millionenfach verkauft. Kimmi glaubt auch nicht an Atlantis aber an das ganze esoterische Zeugs. Sie möchte sich von dem Weg inspirieren lassen und vielleicht findet sie hier eine Antwort auf Ihre berufliche Zukunft.
Weiter gehts nach Portos und O Rosario. Also wenn du morgens nicht wirklich wach bist, dann musst du nur durch eines dieser Orte laufen. Der Gestank macht dich wach, ob du willst oder nicht. Da nützt es auch nichts, nur durch den Mund zu atmen. Kennt ihr das, wenn ein Boxer zu Boden geht, halten die ihm was unter die Nase, damit er wieder zu sich kommt. Ich wette die füllen da die Gülle von den Bauernhöfen hinein. Alter Vater, und sie scheiss Mücken dazu. Manchmal frage ich mich wirklich, wie viele Millionen ich verdienen müsste und hier zu arbeiten?
In Palas de Rei hat ein Künstler überdimensionale Armeisen ausgestellt. Auf denen in groß und fett draufsteht“ bitte nicht auf die Ameisen klettern“ was macht Kimmi? Genau, sie setzt sich auf die Ameise drauf. Ok wenn sie schon sitzt mach ich schnell ein Bild. Wir gehen durch einen Ort mit dem Namen Casanova, wo ich es mir natürlich nicht nehmen lasse ein Bild am Ortsschild zu machen. Mitten in der Pampa ist ein kleines Café/Bar/Restaurant und wir beschließen, zu Mittag gibt es leckere Pulpo und dazu ne kalte Dose Cola. Sehr sehr lecker. Pulpo (Oktopus) ist in Galizien ein Nationalgericht. Wir sind zwar 200km vom mehr entfernt trotzdem ist es auch hier im Landesinneren immer zu bekommen.
Gestärkt gehts weiter. In Melide hören wir laute Straßenmusik und folgen den Klängen. Ich denke, dass da irgendwo eine dieser bekannten Fiestas stattfindet. An einer Kneipe finden wir dann die Musiker. Ein junger Mann feiert seinen Junggesellenabschied. Wir bestellen und zwei Bier und feiern mit den Männern. Ich rede auf dem Bräutigam ein und er sollte es sich das doch noch mal überlegen aber er scheint sich seiner Sache sicher zu sein. Sag später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Nach einer halben Stunde mit Tanz und Musik, gehts für uns weiter nach Boente, wo die Anderen schon in der deutschen Herberge eingetroffen sind. Joe schickt mit ein Bild mit einem Bier in der Hand und die Füße im Pool. Oh ja das möchte ich auch, die Füße ins kalte Wasser halten. Die 6km sind wir ratz fatz gegangen und mein immer noch schmerzendes Bein wird es mir danken, wenn es ins eiskalte Wasser gesteckt wird.
Ich bin begeistert von der deutschen Albergue. Das ist wohl wirklich das Beste. Hier kommen wieder die guten deutschen Tugenden zu Geltung. Sauberkeit, Ordnung und freundliches geschultes Personal. Wow, hör ich mich wie ein reinrassiger deutscher an oder nicht? Nein im Ernst, alles sieht wie neu aus und es ist sehr sauber. Ich mag es. Ich bestell mir ein großes Radler,setze mich an den Pool und halte meine Beine ins Wasser. Wir albern alle gemeinsam herum und man merkt es jedem an, dass jeder von uns weiß, dass es bald vorbei ist. In 2 Tagen sind wir in Santiago und da ist unsere gemeinsame Reise dann beendet. Kimmi, Kirsten und ich werden uns in Santiago ein Apartment nehmen. Joe und Skye bekommen von der Familie ein Spa Hotel gesponsert 300€, Heather bleibt eine Nacht in einer Herberge und will dann weiter nach Finsterra, 90km in zwei Tagen, verrückt. Luis ist schon in Santiago, genau wie Kiaren und Thorsten. Noch 46km und dann stehe ich vor der Kathedrale von Santiago. Wie schnell die Zeit verflogen ist. Das ist heute beim Abendessen natürlich Thema und jeder erzählt seine spannendsten Momente und wie wir uns kennen und ja auch lieben gelernt haben.
Geschichten wie es wohl nur der Camino schreibt. In diesem Sinne, buenas noches amigos.
Nur wer für den Augenblick lebt, lebt für die Zukunft.
Heinrich von Kleis