27.05.19
Pedrouzo - Santiago de Compostela 19km
Und heute Santiago. Das ist mein Gedanke als ich heute wach werde. 19km trennen mich von der Kathedrale Santiago de Compostela. 19km dann bin ich wirklich über 800km gegangen, Kilometer für Kilometer, Tag ein Tag aus. Kein Fahrrad, kein Motorrad, kein Auto oder Bus. Nicht einmal den Aufzug in den 5. Stock habe ich benutzt. Naja, nach Santiago ist es ja für mich noch nicht zu Ende, für mich gehts noch weiter.
Warum muss es jetzt eigentlich regnen?
Die letzten Tage war so ein schönes Wetter und heute? Fuck Regen. Solange es nur so wie jetzt Nieselregen ist, bleibt der Poncho im Rucksack. Nur den Regencover über mein Bagpack.
In Lavacolla wird vielleicht das letzte mal gemeinsam gefrühstückt. Kimmi und Kirsten konnten nicht schlafen und sind heute morgen schon um 5:45 Uhr los. Sie sind leider beim Frühstück nicht dabei. Viel Auswahl gibt es nicht also esse ich Tostada mit Marmelade. Während dem Essen unterhalten wir uns darüber ob wir gemeinsam weitergehen oder jeder für sich. Joe möchte alleine weitergehen, er möchte beten und mit seinen Gedanken alleine sein. Nach dem wir gegessen haben nimmt jeder seinen Rucksack und wir gehen doch noch ein kurzes Stück zusammen. Es ist lustig, Joe hört Kirchen Rock Musik und wirft die Arme nach oben und dann wieder runter, Skye läuft hinter ihm und äfft ihn nach. Heather und ich schmeißen uns weg vor lachen. Ich wusste gar nicht, dass es solch eine Musikrichtung gibt, man lernt eben nie aus. Kimmi schreibt derweil, dass sie an der Kathedrale angekommen ist und sie sei überwältigt. Nach und nach trennen wir uns jetzt. Nicht das jemand rennt oder so aber sie gehen einfach etwas schneller. Skye und ich bleiben zurück und hören noch von „Queen don’t stop me now“ mega Lied und ja wir hatten eine Hammer Zeit zusammen. Luis, der seinen Flug um einen Tag verschoben hat, sehen wir dann heute auch wieder. Er wartet an der Kathedrale auf uns. Nach einem Boxenstopp bin ich dann alleine unterwegs. Ich schätze es sind noch so 6-7 km bis nach Santiago. Es nieselt mal mehr mal weniger. Ich hoffe, dass es bald ganz aufhört und die Sonne herauskommt. Da muss ich an das Buch von Hape Kerkeling, wie schreibt er darin... in Santiago bekommt jeder genau den Empfang, der ihm zusteht. Was steht mir wohl zu? Oder ist das wieder nur so ein Mythos den man sich einredet?
Von San Marcos sind es noch 4.75km bis Santiago, das zeigt zumindest eine Tafel an. Von hier ab gingen die Pilger früher barhäuptig und barfuß, Pferde wurden am Zügel geführt. In der aktuellen Pilgerpraxis ist das weitestgehend unüblich oder auch unbekannt. Von dem Gipfel des Monte do Gozo auch Freudenberg genannt kann man von weitem die Kathedrale sehen. Na gut Vedat, dann begeben wir uns mal nach unten und gucken ob du vielleicht doch noch erleuchtet wirst. Es geht reaktiv steil bergab in Richtung City. Vielleicht meint es der Apostel doch gut mit mir denn die Wolken reißen auf und die Sonne kommt zum Vorschein. Am Ortsschild von Santiago bleibe ich stehen, hier möchte ich auf jeden Fall ein Bild machen. Leider läuft hier keiner rum, dass Schild ist nicht genau auf dem Jakobsweg sondern gegenüber auf der Straßenseite. Also Rucksack hinlegen und Selbstauslöser am Handy wählen. Nach 5-6 versuchen ist ein gutes dabei und das reicht mir. Weiter gehts, immer schön den Muscheln folgen. Die letzten Kilometer ziehen sich immer aber so schlimm wie heute war es noch nie. Überall sieht man hier Pilger und alle gehen in eine Richtung. Ich finde es komisch, nicht im Sinne von lustig, sondern eher ungewöhnlich, hier gibt es so viele Autos, Busse, Verkehr, Lärm, Menschen die in Eile sind. Die letzten Wochen ging alles etwas friedlicher zu und hier am Ziel ist alles um einen herum hektisch. In der Altstadt sieht es aber schon wieder anders aus, fast keine Autos und nur der Klang der Straßenmusiker die ein paar Euros verdienen wollen. Durch die tunnelartige Pilger Pforte gelangt man auf die Plaza del Obradoiro, dem Kathedralen Vorplatz. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und beginne zu filmen was ich sehe, hunderte von Menschen stehen oder liegen hier auf diesem Platz. Man sieht die Freude im ihren Gesichtern. Von weitem höre ich Kimmi‘s Stimme „yeah boy woooo“ sie hebt die Arme in die Luft und wackelt mit dem Arsch. Kimmi eben, die tanzt wo sie geht und steht. Alle sind sie da, Kimmi, Kirsten, Heather, Joe, Skye und Luis. Als ich kurz vor ihnen stehe rufen alle „ we made it“ und Luis öffnet die Champagner Flasche, die er mitgebracht hat. Was für ein Moment, unbeschreiblich. Wir fallen uns in die Arme, drücken uns herzlich, trinken Schampus aus der Flasche und machen jede Menge Bilder. Tolles Gefühl mit den Menschen hier zu stehen, mit denen man den größten Teil des Weges bestritten hat. Wir feiern uns und alle vor der Kathedrale schauen uns dabei zu und teilweise bejubeln sie uns auch noch. Soviel zum Thema“ jeder bekommt den Empfang, den er verdient“
Da hatte ich wohl was gut beim lieben Apostel. Leider ist die Kirche wegen Renovierungsarbeiten geschlossen und wir können nicht die Pilgermesse besuchen. Ich habe die Messe im Fernsehen gesehen. Der Höhepunkt dieser Messe ist, das Schwenken des 54kg schweres Weihrauchfasses. Das Fass schwenkt durch die halbe Kathedrale und benebelt dieselbige. Entstanden ist die Tradition im Mittelalter. Damals soll der strenge Geruch einer großen Pilgergruppe das übermäßige Weihrauchschwenken notwendig gemacht haben. Schade, das hätte ich gerne noch gesehen. Alle gemeinsam gehen wir nun zum Pilgerbüro um uns unsere Compostela( Zertifikat, welches besagt, dass wir die letzten 100km zu Fuß bestritten haben“ abzuholen. Jede Menge Menschen stehen im Pilgerbüro und warten stundenlang auf ihre Urkunde. Das kann ja was werden. Der Beamte am Eingang fragt uns „ob wir als Gruppe unterwegs waren und alle vom gleichen Ort und am gleichen Datum begonnen haben?“ denn dann müssten wir nur ein Formular ausfüllen und könnten unsere Compostela in 2 Stunden abholen. Wenn wir zusätzlich ein Zertifikat haben möchten, dass wir die ganze Strecke von SJPDP bis Santiago zu Fuß gegangen sind, bekomme er noch 3€ Bearbeitungsgebühr. Ok, dass ist es uns wert. Wir füllen alles aus und gehen in die nächste Bar um das ganze weiter mit Alkohol zu feiern. Ein Stück vor der Kathedrale kann man super draußen sitzen und die Menschen beobachten. Skye begleicht auch gleich den schon an Tag 1 versprochenen Cuba Libre und Leute ich kann nur sagen, der schmeckt mega. Wir stoßen zusammen an, darauf das wir es alle geschafft haben und das es eine verdammt lange Nacht wird. Auf den Treppen zur Plaza stehen ca. 40-50 Asiaten die ein Foto machen möchten. Der Fotograf macht und tut aber irgendwie will die Meute nicht lachen. Da gibt es nur eins..... ich renne auf die Treppe, stelle mich vor die Menge und zieh mein T-shirt hoch. Alles ist am grölen, nicht nur die Asiaten auch all die Leute in der Bar. Ich setze mich wieder auf meinen Stuhl und einige der Asiaten kommen zu mir und bedanken sich für den wagemutigen Einsatz. Nachdem wir ausgetrunken haben holen wir unsere Zertifikate und jeder geht in seine Unterkunft um sich für den Abend frisch zu machen. 17 Uhr treffen wir uns vor der Kathedrale. Ich möchte euch nicht zu viel Text zumuten, nur so viel, es war einer der schönsten Abenden in meinem Leben. Es wurde geweint, es wurde verdammt viel gelacht und mindestens genau soviel getrunken. Wann und wie ich nachhause kam, möchte ich euch ersparen. Vielleicht morgen mehr dazu. In diesem Sinne, buenas noches amigos.
Es ist nicht wichtig wohin du im Leben gehst, was du machst oder was du hast. Es kommt darauf an wen du an deiner Seite hast.
Unbekannt